Es war heiss draussen. Hochsommer. Und mein Vater lag im Sterben. Jeden Tag hab mich aufgemacht, ihn zu besuchen. Klinik. Intensivstation. Jeden Tag gelang es mir ungefähr bis zur Dorfgrenze ich, Tiny, zu bleiben. Dahinter hab ich meinen imaginären Arztkittel angezogen und kam als Dr. Jäntsch auf Station an. So konnte ich emotionslos mit den Kollegen über die Therapie reden und musste mich nicht mit meinen eigenen Gefühlen der Hilflosigkeit, Liebe und Trauer auseinandersetzen. ICH war dann mal weg.
Eines Tages hat mich ein guter Freund begleitet. Jemand, der mir half mich auch in diesen Momenten des Abschieds noch zu fühlen einfach nur, weil er da war.
An diesem Tag war ich pur, traurig, aufgewühlt und auf eine Art offen, wie mir das nie zuvor meinem Vater gegenüber gelungen war. Ich bin bis heute dankbar für dieses Erlebnis, weil wir uns vielleicht das erste und gleichzeitig auch das letzte Mal wirklich gesehen haben. Obwohl er die ganze Zeit benebelt in seinem Bett lag, war er in diesem Zusammensein mit mir glasklar. DAS kam an.
In meiner Familie ist nicht üblich sich Schwäche zu erlauben, geschweige denn, sich damit zu zeigen. Jeder versucht das vor den anderen so gut es geht zu verbergen. Auch ich bin nirgendwo so gut geschützt, wie dann, wenn ich mit Familie interagiere.
Ich hab mir meine Schwäche hart erarbeitet. Es ist nicht leicht da zu bleiben, wenn du dich gerade völlig hilflos, überfordert, klein und hässlich fühlst. Und wenn ich mir das selbst nicht erlaube, werde ich auch alles tun, um mein Umfeld gefühlsfrei zu halten. Alles andere tut einfach zu weh. Menschen, die sich spüren, ihre Gefühle zeigen und leben, erinnern mich dann an das, was ich unterdrücke. Diese Prozesse laufen unbewusst ab. Du merkst es daran, dass du scheinbar unangemessen aggro wirst oder wegrennen willst.
Das führt dann zu allen möglichen Kommunikationsproblemen, Übergriffigkeit, ja bis hin zu Gewalt.
Das Schwäche eigentlich Kraft ist, dass der stärker ist, der mit Schwäche gesund umgehen kann, hab ich ewig nicht begriffen. Ich konnte es nicht.
Alles was Gefühl war, hab ich in einen dunklen Keller gesperrt und den Schlüssel weggeworfen. Allerdings war das Leben so extrem mühsam. Da floss nichts. Und die unterdrückten Gefühle regierten mich aus dem Hintergrund. Am Ende hat mich mein System vor die Wahl gestellt Hinsehen, Krankheit oder Tod. Ich hab mich für mich und das Leben entschieden.
Gott sei Dank!